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Creaviva – Kreativität verändert das Gesicht der Welt

Katja Lang wirkt bereits seit knapp 20 Jahren im Creaviva und ist als Co-Leiterin tätig. Das Berner Kompetenzzentrum im Zentrum Paul Klee steht für analoge Kunstvermittlung und fördert mit vielfältigen künstlerischen Angeboten den interaktiven Wissenstransfer und die kulturelle Bildung – für Menschen ab 4 Jahren und bis ins hohe Alter. In ihrer Freizeit ist Katja Lang selbst künstlerisch tätig. Sie hat sich zuhause einen Raum für ihre kreativen Experimente und ihre grosse Leidenschaft eingerichtet: das Zeichnen und Drucken. Wir haben mit ihr über eine Welt ohne Kunst, kreative Wissensvermittlung und die Grenzen von künstlichen Intelligenzen gesprochen.

Katja, gibt es aus deiner Schulzeit ein Kunstprojekt, an das du dich noch gerne erinnerst?

In der Sekundarschule hatte ich einen unglaublich tollen BG-Lehrer, dem es gelungen ist, das Zeichnen aus mir herauszukitzeln. Manchmal haben seine Unterrichtsstunden im Wald stattgefunden, wo wir nach Tierspuren suchten und den Wald mit allen Sinnen erlebten. Es ging nicht darum, den Wald naturalistisch wiederzugeben, sondern mit einem Ast und Farbe zu experimentieren und das Gefühl des Waldes einzufangen. Diese schöne Atmosphäre im Wald, an die kann ich mich noch gut erinnern.

Was wäre die Welt ohne Kunst?

Ohne Kunst wäre die Welt farbloser, einfältiger, langweiliger. Kunst ist Kultur; das, was uns ausmacht. Ohne Kunst würde uns ein Stück unserer Identität fehlen. Wenn wir uns erholen wollen, gehen wir in ein Museum, an ein Konzert oder eine Lesung. All das ist essenziell für unser Menschsein und doch sind Kunstschaffende in der Gesellschaft oft nicht besonders angesehen. Sie sind es aber, die unsere kulturelle Identität massgeblich mitgestalten.

Das Motto von Creaviva lautet: «Wer gestaltet, verändert die Welt.» Was bedeutet das für dich?

Ein Afrikanisches Sprichwort besagt: Viele kleine Leute, die an vielen kleinen Orten viele kleine Dinge tun, können das Gesicht der Welt verändern. Das Creaviva ist einer dieser kleinen Orte. Bei uns sollen die Menschen gestalten dürfen. Wir geben Impulse und Ideen und bringen so etwas ins Rollen. In unseren Kursen geht es viel um Kompetenzerfahrungen. Fühlen wir uns kompetent, stärkt dies unser Selbstwertgefühl und macht uns ein Stück zufriedener. Es geht darum, dass die Kursteilnehmenden in ihrem eigenen Tempo eine Fähigkeit dazugewinnen können. Alle unsere Aktivitäten fördern das Selbstvertrauen und erweitern die Wahrnehmung.

Wann kann man davon sprechen, dass Kinder kreativ tätig sind?

Kreativ sind Kinder dann, wenn sie über sich hinauswachsen; wenn sie selbst eine Lösung für ein Problem finden oder Neues ausprobieren. Sie gehen von verschiedenen Seiten an eine Aufgabe heran und schaffen sich diverse Zugänge. Dabei ist der Weg das Ziel. Kreativität lässt sich auf jeden Bereich des Lebens übertragen; so ist es durchaus möglich, auch Matheaufgaben kreativ zu lösen. Der neue Lehrplan ermutigt die Schülerinnen und Schüler sogar, eigene Herangehensweisen zu entdecken und auszuprobieren. Kreativität hat zudem viel mit der eigenen Neugierde zu tun. Wie sehr interessiert die Kinder die Aufgabe, die ich ihnen als Lehrperson stelle?

Warum haben Kinder das Bedürfnis, sich kreativ auszudrücken?

Kinder sind neugierig, experimentierfreudig und haben das Bedürfnis, die Welt zu erkunden und zu erobern. Dies sind wichtige Voraussetzungen, damit Lernen gelingen kann. Wird ihre Kreativität gefördert, kann sie wachsen. Es gibt sicher kulturelle Einflüsse, die dafür sorgen, dass Kreativität mehr oder weniger ausgelebt werden darf. Nicht überall ist es gleich angesehen, wenn man ausbricht und alternative Wege geht.

Ist Kreativität lernbar?

Kreativität heisst das Erlernen einer neuen Fertigkeit und das Erlernen der Veränderung von Fertigkeiten, in diesem Sinn ist Kreativität durchaus erlernbar. Und gleichzeitig hängt es vom einzelnen Individuum ab, ob das Interesse vorhanden ist, überhaupt etwas Neues auszuprobieren. Wichtig ist sicher, den Kindern beizubringen, dass es kein falsches oder richtiges Gestalten gibt. Dieser Perfektionsanspruch ist der Killer der Kreativität. Wir beobachten bei älteren Kindern, dass sie bereits mit einer klaren Einstellung zu uns kommen – entweder sind sie überzeugt davon, zeichnen zu können oder eben nicht.

Spielt auch das Elternhaus eine Rolle?

Ja, auf jeden Fall. Wir haben manchmal Kinder hier, die Farbe an den Fingern als Dreck empfinden, weil sie so das iPad nicht mehr benutzen dürfen. Und dann gibt es Kinder, die in Familien aufwachsen, in denen es in Ordnung ist, auch mal Farbe an den Hosen zu haben. All diese Prägungen sind wesentlich für das Wachstum und die Entfaltung des eigenen kreativen Interesses. Ich denke, dass jeder Mensch grosse kreative Fähigkeiten hat, aber nicht jeder bekommt die Möglichkeit, sie zu entwickeln.

Wenn es im Gestalten kein Richtig und kein Falsch gibt, wie entscheidest du, ob ein Projekt geglückt ist?

Im Creaviva vergeben wir keine Noten, aber auch BG-Lehrpersonen können objektiv beurteilbare Kriterien formulieren, die nichts damit zu tun haben, als wie schön ein Bild wahrgenommen wird. Zum Beispiel kann beurteilt werden, wie viele Farben die Kinder mischen können. Oder ein bestimmtes Mengenverhältnis oder eine bestimmte Perspektive werden vorgegeben. In der Schule wird viel Wert auf Sorgfalt gelegt und doch gestalten gerade wilde Klassen die für mich kreativsten Bilder. Für mich sind die Kurse geglückt, wenn ich merke, dass sich die Kinder getraut haben, zu experimentieren, sich auszuleben und wenn sie etwas Neues gelernt haben. Das Lachen und der Stolz im Gesicht sind unser Glück.

Wie wird im Creaviva ein Bezug zu den Werken von Paul Klee hergestellt?

Wir arbeiten zu einer Technik oder zu einem Thema von Paul Klee, aber ich zeige der Klasse das Original nie im Voraus. Dieses schauen wir erst am Schluss gemeinsam an. Damit möchte ich verhindern, dass ich die Teilnehmenden in ihrer Kreativität einenge; in ihrer Vorstellung, wie das Bild am Schluss aussehen soll. Stattdessen malt zum Beispiel jedes Kind eine Stadt und am Schluss schauen wir uns die Stadt an, die Paul Klee gemalt hat. Je fantasievoller die Bilder werden, desto mehr erfüllt mich das mit Freude. Es ist uns sehr wichtig, dass wir uns im Creaviva mit Kindern und Erwachsenen auf Augenhöhe begegnen.

Wie gelingt Lehrpersonen die Verbindung von Wissensvermittlung und Kreativität?

Der neue Lehrplan fördert das Ausbilden und Stärken von Kompetenzen. Gleichzeitig wird der Lehrplan immer dichter. Wie viel Zeit kann man sich im Unterricht für Experimente lassen? Kreative Wissensvermittlung lässt sich auch umsetzen, wenn Museen als ausserschulische Lernorte angeschaut werden. So können in Kunstwerken Streifen gezählt oder Winkel gemessen oder eine Führung kann auf Französisch gebucht werden. Bei der Unterrichtsplanung ist also die Kreativität der Lehrpersonen gefragt. Wie kann Wissen so verpackt werden, dass die Kinder es gerne aufsaugen?

Inwiefern ist Kreativität eine Kompetenz, die Kinder stark fürs Leben macht?

Zukunftsforschungsexperten und -expertinnen sind sich einig, dass selbstständiges Lernen und das Entwickeln von kreativem Potenzial entscheidende Faktoren für Erfolg sind. Ich glaube, wir brauchen eine Gesellschaft, die kreativ und in grossen Zusammenhängen denken kann. Die Welt verändert sich und verlangt von uns ein flexibles Umdenken. Wir müssen Visionen entwickeln und Verbindungen herstellen können. Wir gehen einer Zukunft mit neuen Berufen entgegen, die wir jetzt noch nicht kennen. Es ist unsere Aufgabe, unsere Kinder darauf vorzubereiten. Um bestehen zu können, müssen wir agil und kreativ bleiben.

Warum sollten wir noch selbst gestalten, wenn KIs mittlerweile Kunst kreieren können, die uns genauso berührt wie menschliche Kunst?

Kunst zu betrachten und uns von ihr berühren zu lassen ist das eine. Das andere ist, selbst einen Pinsel in der Hand zu halten, Farben zu mischen und auf die Leinwand aufzutragen. Oder selbst ein Gedicht zu schreiben, eine Rolle in einem Theaterstück zu spielen oder eine Tonschale zu töpfern. Diese Erfahrungen kann keine KI ersetzen. Trotzdem können wir KIs heute nicht mehr wegdenken und sie ermöglichen auch in der Kunst neue Zugänge. So kann uns eine KI richtig eingesetzt beispielsweise dabei helfen, ein Werk von Paul Klee besser zu verstehen.

Was ist das Wichtigste, was Kinder und Jugendliche in der Schule lernen sollten?

Soziale Fähigkeiten und das Erkennen und Regulieren von Emotionen. Dazu gehört, auf andere Rücksicht zu nehmen, Respekt, Höflichkeit, Teamfähigkeit, Konfliktkompetenz, Toleranz, Selbstvertrauen, Kritikfähigkeit, Einfühlungs-, Motivations- und Durchsetzungsvermögen. So schaffen wir in der Schule eine Atmosphäre, in der sich alle wohlfühlen und wo es erst möglich wird, Leistungen zu erbringen und Freundschaften zu knüpfen. Der soziale Zusammenhalt wird auch im Creaviva gefördert, zum Beispiel in Gruppenarbeiten, wo die Kinder lernen, gemeinsam Spass zu haben.

Was wünschst du dir für die Bildungslandschaft der Schweiz?

Wenn ich daran denke, dass wir in einer schnelllebigen und inklusiven Welt leben, wünsche ich mir vor allem kleinere Klassen, damit wir jedem Kind gerecht werden können. Früher sind Klassen mit 18 Schülerinnen und Schülern zu uns gekommen, heute sind es teilweise schon 28. Auch für uns ist es eine Herausforderung, uns für jedes Kind Zeit zu nehmen. Inklusion bedingt, dass die nötigen Ressourcen für eine gesunde Umsetzung bereitgestellt werden. So wird erreicht, dass eine schöne Gemeinschaft entsteht, in der sich die Kinder entfalten können und sich in einer freudigen, anregenden und wertschätzenden Atmosphäre sicher und geborgen fühlen.