
Spielen, lachen, lernen: So kommt Bewegung in die Schule
Patrick Fust ist Weiterbildner, Lehrer, Gesundheitscoach, Autor und Lektor und beschäftigt sich bereits seit 20 Jahren mit bewegter Schule. Es ist seine grosse Leidenschaft, Menschen zu bewegen und damit auch zum Lachen zu bringen. Spielerisch leitet er Kurse für Lehrpersonen und Eltern von Kindern und Jugendlichen. Für einen bewegten Unterricht empfiehlt er, was Spass macht, in wenigen Minuten durchführbar ist und praktisch ohne Material auskommt. Wir haben Patrick getroffen und mit ihm über den Spass an Bewegung, die Verknüpfung von Unterrichtsstoff mit Bewegung sowie über die Stärkung von ängstlichen Kindern gesprochen.
Bewegtes Lernen ist laut und chaotisch. Stimmt das?
Nein, das muss überhaupt nicht sein. Ich empfehle – wie allgemein im Unterricht – eine gute Mischung aus unterschiedlichen Formen. Und so ist auch das bewegte Lernen mal leise und mal lauter, es kann eine Einzelarbeit oder ein Gemeinschaftsprojekt sein – im friedlichen und lustvollen Mit- oder Gegeneinander. Ein gutes Wohlbefinden vereinfacht und verbessert das Lernen natürlich. Körperliche Herausforderungen und gemeinschaftliches Spielen können entscheidend dazu beitragen.
Welche Vorteile hat ein bewegter Unterricht für die Schülerinnen und Schüler, aber auch für die Lehrpersonen?
Ein bewegter Unterricht aktiviert die Schülerinnen und Schüler und lässt sie vermehrt miteinander interagieren. Sie haben dabei Spass und üben, angepasst aufeinander einzugehen. Der Einbezug des ganzen Körpers – auch der Lachmuskeln – wirkt sich in vielerlei Hinsicht vorteilhaft auf den Unterricht aus: angenehmere Stimmung, erhöhte Konzentration und Motivation, bessere Verankerung des Lernstoffs, bewusstere Körperwahrnehmung, gesteigertes Selbstwertgefühl, verstärkter Klassenzusammenhalt. Von einer positiven Einstellung gegenüber der Schule und dem Lernen profitieren nicht nur die Kinder und Jugendlichen selber, sondern auch die Lehrpersonen und Eltern.
Empfiehlst du Lehrpersonen, bei den Bewegungspausen mitzumachen?
Ja, klar. Wir Lehrpersonen sind immer auch Vorbilder. Gerne können wir uns beim Auswählen von Spiel- und Übungsformen auch von den eigenen Vorlieben leiten lassen. Was wir mit Herzblut in die Klasse bringen, hat die grössten Chancen, auch von den Schülerinnen und Schülern begeistert aufgenommen zu werden. Ich finde es besonders gut, wenn wir auch Dinge einbauen, die wir selber nicht so gut beherrschen. Damit stehen wir offen zu unseren Schwächen und können vorleben, wie man damit umgehen kann: unabhängig des Potenzials das Beste geben, aber auch über sich selber lachen. Diese Lockerheit trägt ihren Teil zu einer gesunden Fehlerkultur bei. Es ist übrigens sinnvoll, dass sich Lehrpersonen auch beim Korrigieren von Prüfungen oder beim Vorbereiten des Unterrichts zwischendurch bewegen. Studien und unsere eigenen Erfahrungen zeigen, dass wir uns nur schon besser fühlen, wenn wir ab und zu z. B. ein bisschen umhergehen oder ein paar Treppen steigen.
Warum reicht es nicht, Bewegungspausen zu machen, wenn die Schülerinnen und Schüler müde sind, und sie danach wieder sitzend an ihren Pulten lernen zu lassen?
Mehrere Bewegungspausen pro Schultag sind schon mal ein sehr guter Anfang. Mit bewegtem Lernen können wir gleich nochmals von den positiven Auswirkungen körperlicher Aktivität profitieren. Die allermeisten Schülerinnen und Schüler, die in Bewegung lernen dürfen, sagen nämlich von sich selber, dass sie dadurch motivierter und konzentrierter sind. Und was machen Lehrpersonen nicht alles, damit ihre Klasse möglichst motiviert und konzentriert ist! Bewegtes Lernen muss auch überhaupt nicht kompliziert arrangiert werden und soll mit möglichst wenig Material auskommen. Aus alten Zeitungen lassen sich ganz einfach Bälle sowie Balanciergeräte basteln. Einige Spiele lassen sich zudem mit kleinen Gegenständen aus dem Etui umsetzen.
Wie entwickelst du das Bewegungsprogramm für deine Klasse?
Bewegung wird in meiner Unterrichtsvorbereitung seit meiner Zeit als Junglehrer automatisch mitgeplant. Die Gestaltung des bewegten Unterrichts geschieht zudem im Austausch mit meiner Klasse. Wir reflektieren gemeinsam, was wir beibehalten und was wir wie anpassen wollen. Die meisten meiner Klassen haben übrigens jeweils gewünscht, dass die Spiele und Übungen für Bewegungspausen zufällig ausgewählt werden sollen. Dafür kann z. B. von einer Schülerin oder einem Schüler eine Karte aus meiner Ideenkiste gezogen werden. Ich verknüpfe gerne auch aktuelle Unterrichtsthemen mit Bewegung. So lasse ich meine Klasse im Zusammenhang mit dem französischen Absolutismus z. B. ein Spiel spielen, bei dem die sich immer wieder verändernden Bewegungen eines heimlich gewählten Königs laufend kopiert werden und eine nicht-eingeweihte Person herausfinden muss, wer der König ist. Je grösser das Repertoire an Bewegungsideen, desto mehr Verknüpfungen entdeckt man.
Welche Herausforderungen müssen bei der Umsetzung eines bewegten Unterrichts gemeistert werden? Wie gelingt das?
In meinen Lehrmitteln, auf www.schulebewegt.ch und anderswo finden sich genug einfach umsetzbare und lustvolle Bewegungsformen, so dass die Lehrpersonen sich nicht selber etwas aus den Fingern saugen müssen. Die Schwierigkeit im fordernden Schulalltag besteht vielmehr darin, Bewegung regelmässig in den Unterricht einzubauen. Mein bester Tipp zu dieser Verbindlichkeit: ein persönliches Mindestziel bezüglich Anzahl von Bewegungsinterventionen festlegen (anfangs z. B. einmal pro Halbtag, später einmal pro Lektion) und dieses der Klasse mitteilen. Die Schülerinnen und Schüler werden die Lehrperson dann bestimmt so lange daran erinnern, bis die Lehrperson das Einbauen von Bewegung im Unterricht automatisiert hat. Dann ist Bewegung im Unterricht kein Projekt mehr, sondern ein Prinzip. Manchmal wird von Lehrpersonen befürchtet, dass durch die Bewegungspausen der Unterrichtsstoff zu kurz kommen könnte. Ich frage dann: Meinst du nicht, dass deine Schülerinnen und Schüler durch die gesteigerte Motivation und Konzentration dank einer Bewegungspause in 40 Minuten mindestens genauso viel schaffen wie körperlich nicht aktivierte Schülerinnen und Schüler in 45 Minuten? Die Antwort ist den Lehrpersonen dann jeweils klar.
Wie können ängstliche oder bewegungsgehemmte Kinder am besten unterstützt werden?
Das Ziel einer Klasse soll sein, dass sie gemeinsam immer besser herausfindet, wie sich alle möglichst wohl fühlen können – auch mithilfe von Bewegung. Werden mit der Klasse ganz unterschiedliche Bewegungsformen ausprobiert, erkennen die Schülerinnen und Schüler immer besser, was ihnen wie gut zusagt. Zum Wohlbefinden – insbesondere von ängstlicheren Menschen – gehört unter anderem, dass sie sich selbstwirksam erleben und ihr Selbstvertrauen stärken können. Die Lehrperson soll also die Schülerinnen und Schüler ihre Bewegungsformen immer wieder auch selber auswählen lassen. Zudem sollen Lehrpersonen hinsichtlich der Entwicklung der Schülerinnen und Schüler geduldig und gelassen bleiben, aber an entscheidenden Punkten ruhig und bestimmt dranbleiben. Erziehung zeigt sich nicht immer sofort, sondern manchmal erst nach langer oder sogar sehr langer Zeit. Ein wichtiger Faktor, wie Schülerinnen und Schüler in ihrer jeweils einzigartigen Ganzheitlichkeit unterstützt werden können, sind natürlich auch Einzel- und Gruppengespräche.
Welches Feedback bekommst du zum bewegten Lernen?
Nicht nur zum bewegten Lernen, sondern auch zu Bewegungspausen und zu allen möglichen weiteren Aktionen einer bewegten Schule bekomme ich sehr positive Rückmeldungen. Dass die Ideen einfach umsetzbar sind, kommt den Lehrpersonen entgegen, und dass sie lustvoll sind, gefällt sowohl den Schülerinnen und Schülern als auch den Lehrpersonen. Die wohl meistgenannten Vorteile von bewegtem Unterricht sind mehr Spass in der Schule und ein besserer Zusammenhalt innerhalb der Klasse. Rückmeldungen an mich kurz nach einem Kurs zeigen, dass die neuen Bewegungsideen mit leuchtenden Augen aufgenommen wurden und die Lehrpersonen motiviert sind, an diesem Thema dranzubleiben.
Was ist das Wichtigste, was Kinder und Jugendliche in der Schule lernen sollten?
Die Freude am Leben. Dazu gehört das Interesse am lebenslangen Lernen (Sachkompetenz), an anderen Menschen (Sozialkompetenz) und an sich selber (Selbstkompetenz). In der Schule – aber natürlich nicht nur dort – können Strategien für ein erfülltes Leben eingeübt werden. Verfeinern lassen sich diese dann permanent. Und diese Lebensfreude sollen die Lehrpersonen tagtäglich versprühen – auch mit ihrer Begeisterung für Bewegung, gemeinsames Spielen und Lachen. Denn – so der Komiker Karl Valentin: «Wir können Kinder nicht erziehen, die machen uns eh alles nach.»
Was wünschst du dir für die Bildungslandschaft der Schweiz?
Ich wünsche mir, dass Kinder Kinder sein können – auch in der Schule. Und Jugendliche Jugendliche. Dazu gehört, dass ihre (Bewegungs-)Bedürfnisse ernst genommen werden. Das soll auch bei all den Diskussionen um den Lehrplan und die vielen Kompetenzen im Auge behalten werden. Schule muss Spass machen – nicht immer, aber immer wieder. Das Folgende sage ich den Lehrpersonen sehr gerne: In erster Linie bringen sie Bewegung den Schülerinnen und Schülern zuliebe in den Unterricht, sie selber profitieren aber dann auch von einer guten und lockeren Klassenatmosphäre. Ich wünsche mir zudem, dass den Lehrpersonen vom ganzen System mehr Vertrauen und mehr Freiheiten geschenkt werden, so dass sie möglichst gut auf die Bedürfnisse und Entwicklungspotenziale der allesamt einzigartigen Schülerinnen und Schüler eingehen können.
Weiterführende Inspirationsquellen
Auf Patrick Fusts Website finden sich wertvolle Kostproben, inspirierende Podcasts und Artikel sowie Informationen zu seinen schulinternen und öffentlich ausgeschriebenen Kursen.
In Zusammenarbeit mit dem INGOLDVerlag sind die Ideenkiste «Bewegung in die Schule» und die Ideenmappe «Mehr Bewegung in die Schule» entstanden. Der INGOLDVerlag stellt kostenlose Vorlagen für unterschiedliche Lernmaterialien zur Verfügung, die sich sehr gut für bewegtes Lernen eignen.
Auch auf www.schulebewegt.ch finden sich viele praxiserprobte Ideen. Spielmaterial wie Footbags, Springseile und Softbälle kann von registrierten Lehrpersonen kostenlos im Klassensatz bestellt werden. Patrick Fust ist seit der Neulancierung von «Schule bewegt» als Autor und Lektor für den Inhalt der Bewegungsaufgaben verantwortlich.